An vielen Schulen wird keine Schreibschrift mehr gelehrt. Angeblich sei die Schreibschrift ein überkommener Plunder aus dem 19. Jahrhundert und erschwere das Erlernen der Schrift. Immer mehr Schulen setzen daher auf die unverbundenen Druckbuchstaben der sogenannten „Grundschrift“. Kinder werden angehalten, nach eigenem Ermessen Buchstaben zu verbinden, während die Lehrer nur noch unverbindliche Vorschläge machen und assistieren. Diese Art des Schreibens sei leichter zu erlernen, Buchstaben und Texte ließen sich angeblich schneller identifizieren und lesen. Das ist selbstverständlich Unsinn, denn eine saubere Schreibschrift ist genauso leicht lesbar wie eine „Grundschrift“. Unbeachtet bleiben bei diesem weiteren Schulexperiment die zahlreichen Vorteile der Schreibschrift.
Schreibschrift fördert die Gedächtnisleistung und Motorik
Wenn es um die Gedächtnisleistung bei Lernprozessen geht, ist die Schreibschrift das Mittel der Wahl. Die Erziehungswissenschaftlerin und Professorin für Allgemeine Grundschulpädagogik und Didaktik Agathe Schründer führt aus, daß die durch die Schreibschrift bewusstere Beschäftigung mit Gedanken zu einer tiefen Verankerung im Gedächtnis führt: „Das Gehirn speichert Schreibbewegungen […] wir haben motorisches Gedächtnis. Und die gut eingeübte, automatisierte Bewegungsabfolge hilft uns, die richtige Schreibung zu erinnern ohne groß darüber nachzudenken.“ Diese Automatisierung des Schreiben lasse, wie sie in ihrem vielgelesenen Buch ‚Das lesende Gehirn‘ schreibt, „mehr Zeit zum Denken.“ – und damit zum tieferen Verständnis von Inhalten.
Auch Ursula Bredel, Germanistikprofessorin aus Heidelberg, weist auf die positiven Auswirkungen der verbundenen Schreibschrift auf die Sprach- und Rechtschreibekompetenz hin: Bei der Schreibschrift „werden nicht einzelne Buchstaben isoliert verschriftet, sondern Buchstabenfolgen, die sprachlichen Einheiten, überwiegend Silben und Morphemen, entsprechen.“ Auch ermöglichen verbundene Schriften das rhythmisieren entlang von Silben und Morphemen, an denen sich nach Bredel „das Schreiben orientieren sollte“, da sie die „kleinsten Bedeutungstragenden Elemente“ der Sprachen seien. Rhythmisierung sei entlang von isolierten Einzelbuchstaben kaum möglich.
Abkehr von Schreibschrift ist unwissenschaftliches Schulexperiment
Ebenso kritisiert Bredel, daß die Schreibreform ohne stützende Empirie und wissenschaftliche Begleitforschung auskommt. Ein „wissenschaftliches Pilotprojekt sei wünschenswert gewesen“, um Erkenntnisse zu gewinnen, „wie sich die Schreibkompetenz über einen längeren Zeitraum entwickelt.“
Aber genau diese Erkenntnisse fehlen. Die vom Grundschulverband entworfene Grundschrift ist ein Reformprojekt ohne unterstützende Empirie und fundierte Begleitforschung. Es liegen keine Erkenntnisse über die Folgen des Wechsels von der Schreib- zur Grundschrift vor. Alle Indizien, die auf die positiven Effekte der Schreibschrift auf Rechtschreibung, Lernen, Gedächtnisleistung und Feinmotorik hinweisen, werden von den Initiatoren der Grundschrift ignoriert.
Kulturgut Schreibschrift: Nachhaltig aktuell
Schreibschrift ist kein verstaubter Plunder. Sie ist als fließende Schrift mit sinnhaftem Schwung eine besonders individuelle und ästhetische Ausdrucksform. Als Kulturtechnik kommt ihr gerade in unserer Geschichte eine große Bedeutung zu. Gedanken, Erinnerungen, Erzählungen, Märchen, Postkarten und Briefe wurden seit Generationen in Schreibschrift veredelt. Unzählige deutsche Generationen haben in Schreibschrift geschrieben, erzählt, gedichtet und Weltliteratur geschaffen. Wir Deutsche haben als Volk der Dichter und Denker einen innigen Bezug zur Sprache und Schrift. Dieses Erbe gilt es zu bewahren.
Pflege der deutschen Sprache und Schreibschrift
Es gehört auch zukünftig zu meinen politischen Aufgaben, die seit Generationen weitergereichten Kulturgüter nicht dem modernem Nützlichkeits- und Egalitarismusdenken zu opfern, sondern ihnen einen angemessenen Platz in der Gegenwart zu sichern. Ich trete daher in Aachen für das Lernen und die Anwendung der Schreibschrift an Schulen ein. Die Bewahrung und Förderung der Schreibschrift gehört, wie auch die Pflege der deutschen Sprache, zu den Aufgaben einer traditions- und identitätsbewussten Politik.
Für einen Schreibwettbewerb an Aachener Schulen
Um die Schreibschrift an Aachener Schulen zu fördern, stellten mein Stadtratskollege Wolfgang Palm und ich einen entsprechenden Antrag, Demnach sollte die Stadt Aachen einen Schreibwettbewerb organisieren, bei dem Kinder Heimatgeschichten in Schreibschrift verfassen. Dadurch wird der Nutzen der Schreibschrift in den Blickpunkt gerückt, die Kreativität gefördert und durch die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Aachener Region die Heimatverbundenheit gestärkt. Ein gesundes Heimatbewusstsein ist zu Zeiten, in denen immer mehr Menschen auf der Flucht sind oder aufgrund der beruflichen Zwänge einer globalisierten Welt entwurzelt werden, von besonderer Bedeutung. Die Stadt Aachen sollte sich mit bis zu 1.000 Euro für Preisgelder beteiligen.
Lesen Sie hier den Antrag im Wortlaut
Was sich die Aachener Altparteien einfallen ließen, um die Förderung der Schreibschrift abzulehnen, erfahren Sie in Kürze in einem weiteren Artikel.
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Quellen und weiterführende Informationen:
http://www.faz.net/aktuell/politik/cornelia-funke-die-handschrift-soll-gedanken-fliegen-lassen-12933060.html
http://www.welt.de/kultur/article136378628/Es-ist-gut-fuers-Gehirn-mit-der-Hand-zu-schreiben.html
http://www.welt.de/wissenschaft/article129381333/Der-irrwitzige-Verzicht-auf-die-Schreibschrift.html
http://www.deutschlandfunk.de/rueckgang-der-handschrift-eine-spezialform-der-feinmotorik.680.de.html?dram:article_id=309586
http://www.merkur.de/leben/karriere/schule-org77114/grundschule-schreibschrift-versus-grundschrift-diskussionen-aenderungen-schulsystem-3639587.html